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„Disrupt or be disrupted“ – Elemente einer erfolgreichen Digitalstrategie
von Andreas Urbanczyk, Senior Partner der CIPOC GmbH, 08. März 2019
Die Ablösung („Disruption“) von Prozessen, Technologien, Unternehmen und ganzen Branchen, ist ein heißes Thema geworden – und es ist kein vorübergehender Trend, sondern das „neue Normal“. War es vor ein paar Jahren noch eine seltene Ausnahme (man denke an Kodak), so ist es heute für fast alle Unternehmen Realität (man denke an Amazon, Google, Tencent & Co). Die Digitalisierung bedroht das laufende Geschäft, ganz gleich wie gut es aktuell noch laufen mag. Wenig erstaunlich, dass sich auch viele nun aufmachen „digitaler“ zu werden. Was aber sollte eine erfolgreiche Digitalisierungsstrategie beachten?
Im Februar 2019 gaben BMW und Mercedes ihre Kooperation beim autonomen Fahren bekannt. Die zwei Erzrivalen der deutschen Automobilindustrie, die sich in der Vergangenheit stets auf dem Schlachtfeld der Innovationsfähigkeit bekämpften, bündeln Ihre Kräfte im Rahmen ihrer Digitalisierungsstrategie! Warum? Weil sie es müssen, denn die Rivalen aus den USA und China geben derzeit Vollgas.
Nahezu täglich gibt es neue Meldungen, die verdeutlichen, wie stark der Druck mittlerweile auf etablierte Anbieter – hier sogar internationale Marktführer – geworden ist, ihre Geschäftsmodelle im Rahmen der Digitalisierung anzupassen bzw. sich neu zu erfinden.
Im Fall der deutschen Automobilindustrie ist es die Angst vor den „New Kids on the Block“, den Hightech-Giganten aus China und dem Silicon Valley, speziell die Google-Tochter Waymo. Aber auch Tesla, Intel, Apple, Cisco, Amazon, UBER sowie in Asien Tencent, BYD und NIU geben Milliarden im Bereich der Forschung für autonomes Fahren und Elektromobilität aus.
Ein Blick auf die Etats für Forschung und Entwicklung allein der US Hightech-Giganten verdeutlicht die Herausforderung für die deutsche Industrie im Rahmen der Digitalisierung:
Im Vergleich hierzu liegen die Forschungs- und Entwicklungs-Etats von Mercedes und BMW bei jeweils nur rund 8 Mrd. USD pro Jahr, wobei ein erheblicher Teil der Budgets in die Weiterentwicklung bestehender, alter Technologien geht.
Ein möglicher Grund: Im deutschen Innovationssystem gibt es zwar eine gut funktionierende staatliche Förderung evolutionärer Innovationsprozesse, bisher existierten aber keine Förderstrukturen, die sich explizit auf das Hervorbringen von Sprunginnovationen konzentrieren. Sprunginnovationen sind Neuerungen, die in Märkten, Organisationen und Gesellschaften weitreichenden Wandel nach sich ziehen und große Wertschöpfungspotenziale eröffnen.
Die High Tech Strategie 2025, die im September 2018 vom Bundeskabinett beschlossen wurde, ist die erste Innovationsstrategie, die darauf gerichtet ist, die Entstehung und Verwertung von Sprunginnovationen durch eigens dafür entwickelte Ansätze zu fördern. Um auf der Höhe der Zeit zu bleiben müssten deutsche Unternehmen aber auch selbst mutiger werden und dürfen sich nicht auf den Staat verlassen, denn:
Geld allein bewegt noch nichts.
Es sind die Köpfe hinter den F&E-Etats, die Innovationen und Digitalisierung vorantreiben. Und hier stellt sich die nächste oder sogar vordringlichste* Herausforderung der deutschen Industrie: Woher sollen all die Software-Entwickler, Experten für künstliche Intelligenz, Robotik und sonstige Zukunftstechnologien kommen? Jeder der aktuell versucht entsprechendes Know-how bzw. fähige Mitarbeiter am Markt zu akquirieren kennt das Dilemma: Sie sind sehr rar.
Nicht nur national, sondern auch international wird solches Wissen stark nachgefragt. Outsourcing, egal ob Nearshore oder Offshore liefert lange nicht mehr den sicheren Zugang zu qualifizierten Fachkräften, wie dies noch vor ein paar Jahren der Fall war. Die Tech-Konzerne der Schwellenländer und Tiger-Staaten absorbieren heutzutage selbst die größten Talente. Der Wettbewerb, um brauchbares Personal ist mittlerweile global.
Was sollte eine Digitalisierungsstrategie beachten?
Wir denken, dass es insbesondere folgenden fünf Elemente sind, die dazu beitragen die Chance des Erfolgs einer Digitalisierungsstrategie wesentlich zu erhöhen:
(1) Fokussierung & Priorisierung
Allein vor dem Hintergrund der knappen Ressourcen ergibt sich die Herausforderung, die richtigen Dinge zur richtigen Zeit zu tun. Es gilt sich „nicht verzetteln“. Wenn eine Organisation bspw. nur mit sich selbst beschäftigt ist oder damit Fehler der Vergangenheit zu beheben, sind die Freiräume für Neues in aller Regel überschaubar. Diese Freiräume müssen aber geschaffen werden, auch dann, wenn ggf. das operative Geschäft teilweise darunter leidet. Natürlich wirken gegenwärtige Herausforderungen immer dringender als zukünftige – aber sind sie auch wirklich wichtiger?
Ferner: Eine alte Lokführer-Weisheit besagt: „Wenn ein Zug in die falsche Richtung fährt, ist jede Station die falsche.“ Oder anders gesagt, bei der Fokussierung & Priorisierung gilt Technologiesprünge, also Übergangsszenarien von einer „S-Kurve“ zur nächsten, zu erkennen – und zu beachten. Wer bspw. als Hersteller mechanischer Schreibmaschinen alle Bemühungen in die Entwicklung einer elektrischen Schreibmaschine setzt, statt den Übergang zum Personal Computer vorwegzunehmen, wird am Ende trotz ggf. herausragender Fortschritte, dennoch wirtschaftlich erfolglos bleiben.
Deutlich schwieriger ist es, die Politik, die Unternehmen und letztlich auch die Menschen zu mehr Flexibilität und Agilität zu bewegen.
(2) Lean Innovation & Design Thinking
Die deutsche Industrie hat einen Hang zur Perfektion. Das ist tatsächlich eines ihrer Markenzeichen. In einem globalen Wettbewerb, in dem Produktlebenszyklen immer kürzer werden, gewinnt die Time2Market, also die Zeit die ein Anbieter benötigt, um seine Leistung an den Markt zu bringen, stetig an Bedeutung.
Frei nach Jim Collins gilt daher: „First fire bullets, then cannon-balls”. Warten Sie nicht bis Ihr Produkt fehlerfrei und serienreif ist. Feuer Sie es schon vorher auf den Markt. Versuchen Sie im ersten Schritt nicht die 100% Lösung bzw. das 100% Produkt zu erreichen.
Konzentrieren Sie sich auf das MVP (Minimum Viable Product), das „minimal überlebensfähiges Produkt“ und verbessern Sie es in iterativen Schritten. Der Start muss nicht perfekt sein. Wichtig ist, aber, dass Sie von dort aus lernen, den tatsächlichen Bedarf des Kunden zu erkennen.
Dies klingt teilweise wie ein Widerspruch zu der Regel, Technologiesprünge zu beachten – und tatsächlich sind deutsche Unternehmen sehr gut darin, Produkte und Leistungen iterativ zu perfektionieren, aber: Diese Kunst stiftet eben nur dann einen Mehrwert, wenn Sie den Technologiesprung nicht verpassen. Verpassen Sie ihn, satteln Sie ein totes Pferd, dem es egal ist, wie schön und qualitativ-hochwertig sein Sattel ist.
(3) Kulturwandel & Agilität
Brauchen wir wirklich eine neue Führungskultur? Ja, denn die aktuellen Strukturen orientieren sich insbesondere in Großunternehmen an einem stark hierarchischen Säulen-Model. Ziel eines solchen Models ist Kontrolle. Ein solches System fördert Bürokratie und sicherheits-orientierte Pessimisten. Es lädt dazu ein, Innovationen und allgemein neue Ideen zu verhindern. Es lädt dazu ein sich zurückzulehnen und sich auf Erfolgen der Vergangenheit auszuruhen.
Innovationen, spannende Technologien und überraschende Geschäftsmodelle entstehen nur in sinnstiftenden Organisationen, die Menschen als kreative Keimzellen wertschätzen, ihnen Vertrauen entgegenbringen und ihnen Mut machen, neue Wege auszuprobieren, selbst wenn die Endpunkte dieser Wege zu Beginn ungewiss sind.
Es gilt holokratische Organisationselemente einzuführen und sich gegen interne Widerstände zu behaupten. Sind die Widerstände zu hoch bietet es sich evtl. an, auch ganze Innovationsbereiche zunächst ausgliedern, wie das Beispiel der damaligen Internetsparte der Deutschen Telekom T-Online verdeutlicht.
(4) Ecosystem & Kooperation
Erneut gilt es sich zu fokussieren: Machen Sie nicht alles selber. Konzentrieren Sie sich auf Ihre Stärken und entwickeln Sie diese weiter. Schauen Sie sich nach Partnern um und suchen Sie nach Kooperationen, um nicht relevante Prozessschritte (Non Core) abzugeben bzw. outzusourcen.
Aber Achtung: Achten Sie dabei darauf, dass Sie nicht gerade auf dem Teil der Wertschöpfungskette sitzen bleiben, der als nächstes durch technische oder prozessuale Innovationen abgelöst wird. Im Gegenteil: Versuchen Sie die Prozessschritte, die absehbar vom Markt verschwinden werden, als erstes loszuwerden.
(5) „Don’t panic“
Die Umsetzung einer Digitalstrategie geht nur äußerst selten in wenigen Tagen, Wochen oder Monaten. Es benötigt oft einen „langen Atem“, aber auch das richtige Timing eine digitale Transformation erfolgreich umzusetzen. Die langfristige, strategische Sicht betrifft auch den Aufbau der benötigten Kompetenzen und des Kulturwandels.
Realistisch werden auch nicht alle Mitarbeiter den Weg bis zum Ende mitgehen (können). Nicht weil Personalfreisetzungen Hand in Hand gehen mit einer digitalen Transformation, denn tatsächlich sollte jedes Unternehmen seine fähigsten und erfahrensten Mitarbeiter nicht einfach so ziehen lassen, aber…
Wenn Sie stark hierarchische Säulen-Modelle auflösen und entschieden und ehrlich auf Agilität und Selbstorganisation setzten und wenn Sie eine Unternehmenskultur schaffen, die auf ein gemeinschaftliches, höheres Ziel setzt, jenseits von reinem Profitstreben, dann werden Ihre selbstorganisierten Teams all jene, quasi nebenbei, entlarven, die nicht bereit sind, tatsächlich etwas zum Erreichen des Ziels beizutragen.
Weiterführende Informationen und Quellen:
- „12. Jahresgutachten der Expertenkommission Forschung und Innovation“ – https://www.e-fi.de/fileadmin/Gutachten_2019/EFI_Gutachten_2019.pdf ; abgerufen am 08.03.2019
- „Dramatischer Mangel in den MINT Fächern“ – https://www.deutschlandfunk.de/mint-fruehjahrsreport-2018-dramatischer-fachkraeftemangel.680.de.html?dram:article_id=417920 ; abgerufen am 08.03.2019
- „Amazon spent nearly $23 billion on R&D last year — more than any other U.S. company” – https://www.recode.net/2018/4/9/17204004/amazon-research-development-rd ; abgerufen am 08.03.2019
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Bildquelle/Motiv: Sorry imKirk